Obwohl "This is hip hop"-Ausrufe und Realness-Zuschreibungen in der
Diskussion um "People Hear What They See" stark präsent sind, darf man
die neue Veröffentlichung von Oddisee nicht allein auf seine
nostalgischen Auswüchse eingrenzen. Thematisch und musikalisch setzt der
junge Produzent und Rapper nämlich eindeutig eigene Akzente, vor allem
wenn er in seinen bärenstarken Lyrics die Grenzen der Wahrnehmung
auslotet und mit verschiedenen Perspektiven spielt. Natürlich verhält
sich sein Sound Mello Music-typisch etwas zu laid back, um das Konzept
des Albums vollständig aufgehen zu lassen, doch sind die Beats
keinesfalls so sehr beschränkt, dass sie sich auch unter dem Label
"austauschbar" subsumieren ließen. Somit kann ich "People Hear What They
See" insbesondere solchen Leuten ans Herz legen, die mal wieder Lust
auf ein richtig gutes Album haben, welches ohne sogenannten
Schnickschnack auskommt.
Oddisee - People Hear What They See
2012
Label: Mello Music Group
Mittwoch, 19. Juni 2013
There Is Only Today
Für dieses Release müssten dem in Toronto lebenden Produzenten und
Rapper Muneshine die Ohren lang gezogen werden. Er hat doch tatsächlich
die Eier, dem Hörer auf über 50 Minuten ein riesengroßes Nichts
anzubieten. Seine Bemühungen sind ein wildes Herumstochern auf der
Space-Taste; und Muneshine selbst ist so hoffnungsvoll zu glauben, dass
mit dieser Methode was Anständiges bei herumkommt. Weil jedoch immer
noch das klischeebehaftete Urteil existiert, alle Alben, in denen es
nicht um paarungswillige Hoes, fette Karren und schicke Klamotten geht,
seien geil, wird auch diese komplett verhunzte Veröffentlichung ihr
Publikum finden. Dabei nervt gar nicht so sehr die ständige
Selbstdarstellung des Kanadiers, als vielmehr die lustlosen und gänzlich
unerotischen Produktionen. Selbst die Zone der Durchschnittlichkeit ist
zu weit weg für den hässlichen Jazz-und-Soul-Brei, der unter anderem
von Illmind, M-Phazes, Buckwild und natürlich Muneshine selbst kommt.
Wenn Hip Hop sich nur so anhöre wie auf "There Is Only Today", also als
eine Konstruktion auftauche, in der Power und Verve fremde Begriffe
wären, gebe es nicht einmal den Stillstand, weil die Konstruktion über
kurz oder lang sterben würde. Denn die musikalische Bewegung kann nur
durch die Bewegung leben, den pulsierenden Strom der unbändigen
Leidenschaft. Mit einer dem Hörer offenbarenden Leidenschaft hat "There
Is Only Today" natürlich nicht das Geringste am Hut. Stattdessen heißen
die omnipräsenten Attribute Kalkulation und Zurückhaltung.
Muneshine - There Is Only Today
2012
Label: Droppin' Science
Muneshine - There Is Only Today
2012
Label: Droppin' Science
Monochrome Skies
Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund meint es das Schicksal nicht
wirklich gut mit "Monochrome Skies", wenn man sich mal die
rezeptionstechnischen Stimmen der Kritiker anschaut. Obwohl der zweite
Gruppenbeitrag von Hex One und Tek-nition auf klassische Strukturen
setzt, aber alles andere als ein Album von vielen ist, tendiert die
Hinweisgebung in den Internetmedien gen Null. Das ist insofern traurig,
als dass im Normalfall mit dem Scheinwerferlicht für
Innovations-Ablehner und Bumm-Tschack-Drückeberger nicht gerade gespart
wird. Doch auch wenn die beiden Emcees von Epidemic ebenfalls in diesen
bequemen Kategorien rangieren, verewigen sie sich wenigstens nicht als
unglücklich Verirrte auf den Tonspuren, sondern zeigen prächtig
fundierten Boom Bap wie man ihn sich deutlich öfter wünscht. Derweil
diese Skill-angefüllten Reimspitter hier ihr durchgehend geglücktes
Zusammenspiel zeigen und unter Beweis stellen dürfen, dass sie ihren
Mund auf dem rechten Fleck haben, sind die simpel gestrickten
Produktionen meist von einem düsteren Hauch umgeben. Der Luxemburger
Jesse James versteht es bestens, mit Streicher-Loops zu arbeiten und
obligatorische Plattenkratzersounds nicht nervig klingen zu lassen, was
unter anderem auch zu gelungenen Oldschool-Parallelitäten führt und
Nineties-Fans wie Schnitzel freuen lässt. "Monochrome Skies" ist auch
deshalb schon noch eine Ausgabe der Music-To-Chill-To-Variante, die
jedoch, ungeachtet ihrer ausgiebigen Wiederholung in Form von insgesamt
19 Songs, bis zum Schluss sehr viel Spaß bereitet. Der Grund hierfür
liegt in der Konzentration der Highlights am Ende des Outputs, während
die Platte am Anfang allerdings noch etwas vor sich hin wurschtelt.
Epidemic - Monochrome Skies
2012
Label: Mic Theory
Epidemic - Monochrome Skies
2012
Label: Mic Theory
Samstag, 15. Juni 2013
Trophies
Der knappe Titel nimmt Bezug auf die in der Gesellschaft grassierende
Krankheit, jeden Erfolg wie einen Pokal auszustellen, um das persönliche
Geltungsbedürfnis zu befriedigen und um der Welt mitzuteilen, was man
erreicht hat. Das Credo der Gruppe lautet an dieser Stelle einfach:
Nicht ausruhen und angeben, sondern aktiv bleiben! Man kann sich auf
jeden Fall schlechtere Verteiler von Messages vorstellen, als O.C. aus
dem Altherren-Sektor, dem man auf "Trophies" die Leidenschaft und den
Spaß an Rap auch 18 Jahre nach seinem Debüt anmerkt. Powervoll flowt er
über soulige, nicht selten energische Produktionen von Jungstar Apollo
Brown, dem Hoffnungsträger sämtlicher Boom Bap Fanatiker. Gibt man sich
mit simplen Loop-Techniken zufrieden, kann man auf dem Langspieler eine
Menge Highlights entdecken. Dennoch muss sich das Album dafür
kritisieren lassen, im Bereich der Beats nicht über das starre Kopieren
von Mustern hinauszukommen. Apollo Browns künstlerisches Vorgehen
verstärkt zwar den nostalgischen Touch, doch produziert bzw. stärkt es
die gleichen Eingrenzungen, die schon einem großen Haufen anderer
Neunziger-Jahre-Orientierungsalben etwas vom Potenzial stibitzten: der
variationsarme Produktionsstil und die darauf aufbauende, auch heute
noch beliebte Straight Rap-Mentalität.
Apollo Brown & O.C. - Trophies
2012
Label: Mellow Music Group
Apollo Brown & O.C. - Trophies
2012
Label: Mellow Music Group
Skelethon
Die Rahmenbedingungen vor dem Release von "Skelethon" kamen mir nicht
gerade verheißungsvoll vor, sollte das Album doch über die Firma
Rhymesayers rauskommen, ein Label, bei welchem der Großteil der Künstler
regelrecht darauf versessen ist, Realness-Schrott aus der Konserve als
progressive Musik auszugeben. Wie das im Leben mit vorschnellen
Befürchtungen so ist, flachen diese bei kleinsten Hoffnungsschimmern
auch schon wieder ab. Die erste Single "Zero Dark Thirty" hatte nämlich
mit einer bloß vorgetäuschten Progressivität nicht viel zu tun, Aesop
wirkte auf dem hektischen Beat regelrecht so, als ob er das Genre am
liebsten in ein neues Zeitalter transferieren würde, was selbst am Text
in gewisser Hinsicht zu erkennen war, da der New Yorker in diesem Stück
das Rapbusiness einer kritischen Überprüfung unterzog. Auch wenn sich die Erwartungen nach der Single mit dem präsentierten
Inhalt auf dem Album nicht millimetergenau decken, leistet sich
"Skelethon" keinen einzigen Wertungssenker in Trackform, und ist sowieso
ein Werk, in das man sich eigentlich nur verlieben kann, obwohl es
durchgängig mit intellektualisierten Textzeilen beladen ist. Das
Geheimnis von Aesop Rock fand man sowieso seit jeher in der Verformung
des Traditionellen, des Erweiterns des eigenen sowie des Hip Hop
spezifischen Radius. Jedoch lag ihm schon immer das Bedürfnis fern, auf
gesetzte Traditionen und Wegmarken des Genres vollständig zu verzichten.
Deshalb ist Mister Bavitz ein Mann des Vergangenen, des Jetzt und des
noch Folgenden. Seine Beliebtheit bei Szenekennern wird nicht abebben, bis Aesop sich
dazu entschließt, standardisierte Genrestrukturen nicht mehr ernst zu
nehmen. Käme es einmal dazu, wäre es schade, denn wie der Mann auf
diesem Album komplexes Gedankengut aneinanderhängt, mit welcher Lust und
mit welchem Trieb er auf minimalistischen, Skelett-artigen Drumsets die
Übermacht seiner Raprhythmik repräsentiert, ist für meine Begriffe
einmalig.
Aesop Rock - Skelethon
2012
Label: Rhymesayers
Aesop Rock - Skelethon
2012
Label: Rhymesayers
The Rebellion Against All There Is
Dass seine ersten zwei Alben feuchte Träume für Boom Bap-Muffel sind,
ist wohl alles andere als eine steile These. Darüber, dass auf duften
Synthiebrettern getragene jugendhafte Lyrik über Hustlen und Pimpen
mindestens einen Klassiker-Status bedeutet, herrscht in der Szene
bekanntlich ein strenges Kopfnicken. Allerdings verkauft Mac Mall schon
längst keine feuchten Träume mehr, weshalb er heute unter einem herben
Reputationsverlust leidet, wie nicht wenige Westcoastrapper, die in der
Erntezeit des Gangstaraps ihre heißeste Phase hatten. Doch kommen wir
zur Sache: "The Rebellion Against All There Is" ist im Grunde so
entbehrlich wie jedes andere Album des Rappers aus Vallejo. Wer jedoch
"Thizziana Stoned & Tha Temple of Shrooms" und "Da U.S. Open" mit
Mac Dre gehört hat, darf aufatmen und durchaus Freudesprünge machen. Das
liegt einerseits an der teilweisen Entbanalisierung der Texte,
andererseits an vergleichsweise ordentlichen Produktionen von Khayree,
die ohne die Bay-typischen Zappelphilipp-Orgasmen auskommen. Pfiffigen
Menschen, denen der Titel Vermutungen über die Integration von
politischen Inhalten entlockt, sei mitgeteilt, sich auf der richtigen
Fährte zu befinden, schließlich trägt Mac Mal politischen und
gesellschaftlichen Themen tatsächlich Rechnung. Allerdings fällt die
Verarbeitung des verlogenen American Dream erwartungsgemäß oberflächlich
denn fundiert aus. Ungeachtet dieser seltsamen Suche nach Relevanz und
sonstiger bedeutungsloser Texte unterhalten insbesondere einige hübsch
anzuhörende Beats. Federleichte Fingerschnipp-Instrumentals und
zurückhaltende Bounce-Bomben hier, beeindruckende Bass-Quietscher sowie
Drum'n'Bass-Experimente dort - Khayree muss sich auf keinen Fall
schämen.
Mac Mall - The Rebellion Against All There Is
2012
Label: Young Black Brotha
Mac Mall - The Rebellion Against All There Is
2012
Label: Young Black Brotha
The Birthwrite LP
Gewiss besagt ein krummer Kodex, dass man Debütanten nicht so hart
anpacken sollte wie erfahrene Künstler, da sich die Newcomer schließlich
in einem Stadium der Identitätsfindung und Erfahrungssammlung befänden,
deshalb nur eine rücksichtsvolle Auseinadersetzung zum besten Urteil
kommen könnte. Wie man die Sache nun angeht, ist jedem sein Bier. Nur
sollte der ersten professionellen Gesamtarbeit einer künstlerisch
tätigen Person keine falsche und falsch begründete Herzensgüte zukommen,
womit wir schon beim Kern sind, meiner Meinung zu "The BirthWrite LP"
von RationaL. Der einladende Sound aus besinnlichen Strings und organischen
Percussions, genau wie das gleichzeitige Weglassen jedes Klimbims,
entwirft zugegebenermaßen eine feine Bühne für RationaLs Reime, die sich
beinahe ausschließlich mit ernsthaften Themen beschäftigen. Und doch
ist das Konzept ein wenig zu simple-minded, die Textur mehr eine dürftig
präsentierte Phrase denn Ergebnis eines tiefen Denkprozesses.
Geschichten erzählend und seine Person reflektierend, hat RationaL
freilich meine Sympathien auf seiner Seite, doch dass er auf seinem
Erstling in kein Fettnäpfchen tritt, hat seine Ursache in der
Einstellung des Rappers. Sein Vertrauen in die abgeschmackte Rezeptur
scheint so groß zu sein, dass er gar keinen Gedanken daran verschwendet,
auch mal eine andere Platte auflegen zu lassen. Um wieder etwas an die
Anfangssätze heranzutreten, muss ich feststellen, dass im Falle von "The
BirthWrite LP" eine Herzensgüte, die die Bewertung beeinflussen würde,
übrigens nicht bloß aufgrund ihres total irrationalen Charakters nicht
passe, sondern auch wegen der Anforderungen. Gerade das Einstandsalbum
gilt doch als ein erstes Ausrufezeichen und sollte deswegen nicht für
die Ausstellung von Untugenden wie Inspirationslosigkeit und Einfalt
missbraucht werden.
RationaL - The Birthwrite LP
2012
Label: Ear Rational Music
RationaL - The Birthwrite LP
2012
Label: Ear Rational Music
C.A.R.
Nach seinem Debüt-Solo auf Anticon, dem oft sehr Lo-Fi-artigen und etwas
leer wirkenden "Family & Friends", legte der sympathische Chicagoer
Nonkonformist gleich wieder nach und setzte mit Jel und Odd Nosdam auf
ein zuverlässiges und sehr übersichtliches Team. Deren chaotische
Zusammensetzungen verschiedenster Klangmaterialien klingen dann
glücklicherweise auch nicht mehr wie die gestutzten Anstrengungen auf
dem Vorgänger, stattdessen wabert und schwabbelt es auf "C.A.R.", dass
man manches Mal meint, die Produktionen seien in der Lage, Serengeti zu
verschlingen. Dennoch kommen mir die Beats trotz ihrer experimentellen
Note sehr minimalistisch vor und divergieren auch nur in wenige
verschiedene Richtungen, sodass der Langspieler eine ungemein angenehme
und unkonventionell geartete Einheitlichkeit aufzubieten hat. Können
Stimmeffekte, ungewöhnliche Vocal Samples und außerordentlich konfuse
bis humorige Lyrics einen weiteren Beitrag zum eigenbrötlerischen
Ambiente leisten, erreicht Serengetis Performance stets die Grenze zum
Trashigen. Doch seine Raptechnik, die so plump wie erfrischend ist, sein
trockener und unbekümmerter Flow machen seine Geschichten, die in
wirklich megasimple Reimstrukturen übersetzt werden, erst richtig
königlich. "C.A.R." ist obendrein ein Hörerlebnis, welches erst nach
mehrmaligen Konsumierversuchen zünden dürfte, weil es uns ständig mit
Unberechenbarkeiten konfrontiert. Bringt man es jedoch fertig, sich auf
das Album einzulassen, kommt man aus dem Sog nicht mehr so leicht heraus
und erkennt bei sich vielleicht so etwas wie ein Suchtpotenzial für
ulkige "Have sex with a horse, reconsider divorce"-Feststellungen.
Serengeti - C.A.R.
2012
Label: Anticon
Serengeti - C.A.R.
2012
Label: Anticon
ANX
Der durchschnittliche und mit Inbrunst bei der Sache tätige Dark Time
Sunshine Hörer muss wohl ein unheimlich glücklicher Mensch sein,
schließlich sind ihm größere Enttäuschungen hinsichtlich der seit 2009
veröffentlichenden Emcee-Producer-Kombo noch nicht widerfahren, weshalb
nur der ein oder andere passionierte Brummbär in einem oder mehreren der
bisherigen vier Releases große Mängel ausmachen dürfte. Stattdessen
kullern beim Zuhören von "ANX" doch vielmehr Freudentränen die Wangen
herunter, als würde man das eigene Kind beim ersten freiwilligen Marsch
aufs Töpfchen beobachten. Wie die Vorgänger ist auch der neueste Versuch
der Gruppe aufregend, relativ frei von kalkulierten Klangschablonen und
vor allen Dingen abwechslungsreich, was das Zeug hält. In gewisser
Hinsicht stellen die in alle erdenklichen Richtungen schwingenden
Produktionen, welche mit tobenden wie charismatischen Synthies
befeuchtet wurden, mit ihrer klassischen Note wieder einmal unter
Beweis, dass man nicht rasend Konventionen zerstören und den
musikalischen Troublemaker markieren muss, um progressiven Hip Hop
inklusive eines frischen Brieschens zu machen. In der nicht abgehobenen
Welt von Dark Time Sunshine geht es schließlich auch gar nicht um die
Missachtung der Regeln und Normen, sondern um einen verständigen
Rückwärtsblick, mit dem man das Alte pflegt, sich gleichzeitig jedoch
auch um zusätzliche Komponenten kümmert und Ausschau nach trendigen
Modeerscheinungen hält. Auf die Vermischung des Klassischen mit dem Psychedelischen Bezug
nehmend, ist es deshalb voll und ganz vertretbar, die Musik der beiden
Member als Boom Bap auf Drogen zu kennzeichnen. Dass die bisherigen
Auswürfe lyrisch und beattechnisch so enorm qualitativ ausgefallen sind,
bewahrte sie letztlich auch vor den doofen "Sie möchten es doch allen
nur recht machen"-Spekulationen. "ANX" bedient zwar Pop-Geschmäcker en
masse, schafft es aber, genug Seelisches unter der Oberfläche zu
platzieren, seien es die Details in den Instrumentals oder Onry Ozzborns
Texte, welche sicherlich nicht zu den gewöhnlichsten gehören und sich
vielleicht nicht dazu eignen, in bester Feierabendstimmung in der Kneipe
zitiert zu werden, die aber doch verdammt langlebig sind.
Dark Time Sunshine - ANX
2012
Label: Fake Four Inc.
Dark Time Sunshine - ANX
2012
Label: Fake Four Inc.
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